Keine Debattenkulur ohne Demut und Respekt
Mancher weiß alles, und er weiß alles ganz genau. Andere Meinungen hört er nicht, und wenn doch, lässt er sie nicht gelten. Eine Studie hat vor ein paar Wochen gezeigt: Je schlichter einer ist, je einfältiger er tickt, desto mehr trifft das auf ihn zu. Um es mit Kurt Tucholsky zu sagen: „Wissen macht zaghaft, Dummheit weiß alles.“
Irgendwie beschreibt das die Debatten dieser Jahre. In der Politik, in den sozialen Netzwerken - und leider auch in der Kirche, in unseren Gemeinden. Neulich war ich als Gastprediger zu einem Gottesdienst eingeladen. Der Pastor gab mir vorher einen dringenden Rat: „Sagen Sie bitte kein Wort zum Thema Impfen. Sagen Sie auch nichts zu Donald Trump. Und schon gar nicht zur AfD. Wir haben eine schwere Zeit hinter uns. Viele sind gegangen. Jetzt halten wir es hier nur so einigermaßen miteinander aus, wenn wir bestimmte Themen konsequent verschweigen.“
Aber kann das die Lösung sein? Schweigen und nicht mehr miteinander reden? Vielleicht müssten wir ganz neu das Zuhören einüben, bevor wir reden. Demütig und respektvoll. Wer nicht mehr zuhört, erfährt nichts Neues. Er bleibt auf seinem Stand-Punkt und kommt nicht mehr vom Fleck.
Dabei könnte es so ganz anders sein. Keine Generation vor uns hatte einen so breiten und uneingeschränkten Zugang zum Wissen dieser Welt. Wir könnten alle Aspekte eines Thema erkunden. Aber vielleicht ist genau das unser Problem. Es ist alles zu viel, zu komplex, zu kompliziert, zu verwirrend. Und so hören viele, wenn überhaupt, nur denen zu, die dasselbe denken und sagen wie sie selbst. Man zieht sich zurück in eine Blase von Gleichgesinnten.
Beim Philosophen Hans-Georg Gadamer habe ich einmal gelernt: Ein wirkliches Gespräch kann man nur unter der Voraussetzung führen, dass der andere recht haben könnte. Wenn man das von vornherein ausschließt, kann man sich das Gespräch tatsächlich sparen.
Es ist Zeit für einen Neuanfang. Helfen kann ein kleiner Satz, den der Apostel Paulus an die Gemeinde in Korinth geschrieben hat: Wir erkennen stückweise. Also: Jeder erkennt ein kleines Stück der Wahrheit. Jeder einzelne, jede Gruppe, jede Gemeinde. Niemand erkennt das Ganze. Die Zeit der Universalgelehrten ist ein für alle Mal vorbei.
Was für das Wissen über die Dinge dieser Welt gilt, gilt erst recht für das Wissen über Gott. Der ist so anders, so heilig, so groß, so gewaltig, dass er sich mit unseren begrenzten Hirnen nicht erkennen lässt. Keiner hat die ganze Wahrheit über Gott. Keine Kirche. Keine Theologie. Wer‘s behauptet, hat garantiert nicht ihn erkannt. Wir erkennen stückweise. Das kann uns demütig machen, bescheiden. Und es sollte uns dazu bringen, denen, die uns mit anderen Erkenntnissen begegnen, zunächst einmal zuzuhören. Dazu mahnt ja auch die Losung für dieses Jahr: Prüft alles, das Gute behaltet.
Um es in einem Beispiel zu sagen: Die Wahrheit über Gott und über den Glauben und über die Welt und über das Leben ist ein gewaltiges Puzzle mit unendlich vielen Teilen. Niemand, der ein Teil in der Hand hält, sollte sich einbilden, er hätte damit schon das ganze Bild.
Wir waren oft in Jerusalem. Auch in der Grabeskirche. Da ist vieles uns westlich geprägten Christen fremd. Den Gruppen, die wir durch die Kirche führen, sagen wir zu Beginn immer wieder: Nehmt euch zurück. Sagt nicht sofort: Was soll all der bunte Firlefanz? Alles hat eine Bedeutung. Alles ist Symbol für eine geistliche Wahrheit. Wir würden das heute alles anders gestalten. Aber habt bitte Respekt für das, was anders geprägten Christen wichtig war und ist.
Ja, Respekt - wenn der sich zur Demut gesellen würde, gäbe es wieder Hoffnung für die Debatten in der Gesellschaft - und in unseren Gemeinden.
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